
Entertainer, Legende, Spitzbub: Thomas Gottschalk ist vieles – nur offenbar nicht so ganz mit der Zeit gegangen.
Thomas Gottschalk, der am 18. Mai seinen 75. Geburtstag feiert, gehörte über Jahrzehnte zu den größten deutschen Entertainern. Ungezwungen, charmant, aber gerne auch mal drüber moderierte er sich durch die Medienlandschaft. Doch die Zeiten haben sich geändert – und das hat der einst gefeierte Gottschalk deutlich zu spüren bekommen. Vergangene Woche hat er nun seinen Abschied von der Samstagabendunterhaltung angekündigt.
Der legendäre Thomas Gottschalk
Keine Frage, Gottschalk ist eine Legende. Im Radio, in zahlreichen Fernsehshows und auch als Schauspieler mit kultigen Streifen wie „Die Supernasen“ oder „Piratensender Powerplay“ hat er die Massen Jahrzehnte lang unterhalten. Viele sind mit ihm aufgewachsen. Wenn die Kinder am Samstagabend gebadet hatten, durften sie mit etwas Glück länger aufbleiben, um aus seinem Mund ein „Top, die Wette gilt!“ in der großen deutschen Samstagabendshow „Wetten, dass..?“ zu hören.
Recht wohlwollend dürften sich viele mit nostalgisch verklärtem Blick an den einen oder anderen Familienabend vor dem Fernseher erinnern. Natürlich gab es auch die Zeiten mit dem Vater der Show, Frank Elstner (83), mit Wolfgang Lippert (73) und Markus Lanz (56) – aber sie alle waren eben nicht Gottschalk. Bis heute bleibt er in den Köpfen das Aushängeschild deutscher Samstagabendunterhaltung. Er ist der spitzbübische Thommy, der verschmitzt grinst, einen flotten Spruch auf den Lippen hat und dem man nichts so wirklich übel nehmen kann. Oder?
Der von der Kritik genervte Thomas Gottschalk
Im Jahr 2018, zu einer Zeit, in der X noch Twitter hieß, berichtete Gottschalk im Gespräch mit der Nachrichtenagentur spot on news noch: „Ich finde Twitter toll, weil ich was raushauen kann, wenn ich dazu Lust habe. Wenn ich Opa werde, freuen sich Hunderttausend Leute und wenn ich Mist verzapfe, beschimpfen sie mich. Das gefällt mir. Und das geht alles ohne die Boulevardpresse. Das gefällt mir am allerbesten.“ Vor allem für sein Verhalten gegenüber weiblichen Showgästen stand er jedoch immer wieder in der Kritik, nicht nur in der Boulevardpresse.
Im vergangenen Oktober dürfte er sich nach einem „Spiegel“-Interview daher auch nicht zum ersten Mal wie durchs Mediendorf getrieben gefühlt haben. Mit dem Zitat „Ich habe Frauen im TV rein dienstlich angefasst“, titelte das Magazin. In seinem mittlerweile eingestellten „Die Supernasen“-Podcast, den Gottschalk mit seinem langjährigen Weggefährten Mike Krüger (73) hatte, erklärte er wenig später: „Ich weise jeden Vorwurf von mir, dass ich meine Position genutzt hätte, eventuell Frauen auf meinem Sofa unsittlich zu berühren. Das war nie meine Absicht, und das war auch nie etwas, was ich mir angesichts von 20 Millionen hätte leisten können, die da zugeschaut haben.“
Viel wurde geschrieben und diskutiert, dabei wurden fragwürdige Momente des Moderators auch lange zuvor thematisiert. Während sich das Bewusstsein der Gesellschaft langsam zu verändern scheint, wurde auch die Debatte um das Gebaren von Gottschalk lauter. Schon mehr als sechs Jahre zuvor wählte er im Gespräch mit spot on news ähnliche Worte: „Das war alles rein dienstlich, und wenn ich an den Klamotten meiner weiblichen Gäste gezerrt habe, dann nur, um zu verhindern, dass sie mit ihrem Privatjet vorzeitig zurück nach Hollywood geflüchtet sind. Und dafür habe ich mehrere Millionen Zeugen.“
Rund eine Dekade zuvor war es ebenfalls bereits Thema. Gottschalk sah sich 2008 als Opfer von „Berufskritikern“, wie er der Programmzeitschrift „TV Digital“ erzählte. Er möge konstruktive Kritik, sehe es aber nicht ein, sich „nach 20 Jahren in diesem Geschäft rechtfertigen zu müssen“. Er sei manchmal genervt von der „Rotznasigkeit jugendlicher Online-Journalisten, die alles wegbügeln wollen, was über 40 ist“. Und Gottschalk erklärte: „Auch nutze ich die Zeit nicht, um mich weiblichen Gästen sexuell zu nähern und sie dann im unbeobachteten Moment zu vergewaltigen – was viele Kritiker befürchten. Ich bin einer, der Menschen, die er mag, immer irgendwann anfasst.“
Der missverstandene Thomas Gottschalk
Gottschalk fühlte sich in den vergangenen Jahren offenbar immer häufiger missverstanden. „Wetten, dass..?“ nicht mehr moderieren zu wollen, erklärte er 2023 in seiner letzten Ausgabe mit zwei Hauptgründen. Zum einen wolle der Moderator nicht, dass man ihm irgendwann erklären müsse, was für Promis da überhaupt auf seiner TV-Couch sitzen. Zum anderen habe er „immer im Fernsehen das gesagt, was ich zu Hause auch gesagt habe. Inzwischen rede ich zu Hause anders wie im Fernsehen – und das ist auch keine dolle Entwicklung. Und bevor hier irgendein verzweifelter Aufnahmeleiter hin und her rennt und sagt: ‚Du hast wieder einen Shitstorm hergelabert.‘ Dann sage ich: ‚Dann sage ich lieber gar nichts mehr.'“
„Ungefiltert: Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann“, heißt sein 2024 erschienenes Buch. Er sei „sinnbildlich mit einem alten Auto auf neuen Wegen unterwegs“, steht auf der Rückseite. „Die Verkehrsschilder sind heute klarer lesbar als zu meiner Zeit, und es wird sehr viel genauer kontrolliert, ob sich Kerle wie ich an die Straßenverkehrsordnung halten. Das ist gut so, aber es ist auch kompliziert geworden.“
Zur Veröffentlichung sprach der Entertainer unter anderem mit dem Nachrichtenjournal „Zeit im Bild“ des ORF. „Es ist insofern eine Flucht nach vorne, als ich gesagt habe, ich habe mein Leben lang mich wie ein Unterhalter gebärdet, aber nie wie ein Mann, der seine Meinung sagte“, erklärte Gottschalk. Ein Unterhalter sei eine Person, die „dem Publikum das sagt, was es hören möchte. Ein Mensch meines Alters sollte irgendwann mal mit der Wirklichkeit rausrücken“, erläuterte er weiter. Früher habe er das Gefühl gehabt, „verstanden zu werden. Ich bin’s doch nur. Heute geht es ja nicht mehr darum, wer man ist, sondern [um] das, was man sagt und wer sich davon in irgendeiner Form angegriffen oder auf die Füße getreten fühlt.“
Der Thomas Gottschalk mit der „Wirklichkeit im Auge“
Im selben Interview merkte er an: „Ich habe immer das gesagt, was ich gedacht habe, habe aber jetzt den Eindruck, dass es nicht mehr reicht zu sagen, ich bin’s doch nur. Sondern gewisse Dinge darf man einfach nicht mehr sagen oder sollte man nicht mehr sagen.“ Er wolle niemandem zu nahetreten oder schaden. Viele ältere, aber auch jüngere Menschen würden Gottschalk demnach beipflichten. Es gebe jedoch auch Personen, die anderer Meinung sind: „Das sind aber, meine ich, Leute, die nicht die Wirklichkeit im Auge haben und die sich in irgendeiner Form nach einer Mehrheit richten“, der er nicht hinterherlaufen möchte.
Die Wirklichkeit ist: Während sich Gottschalk von der Mehrheit abgrenzen möchte, hat sich diese über Jahrzehnte auch nach ihm gerichtet. Sie hat ihn und seine vielen Auftritte gefeiert. Und unterhaltsam war er für viele Menschen ganz offensichtlich, sonst hätte er nicht Millionen vor die Bildschirme gelockt. Die Realität ist aber auch: Natürlich kann er sagen, was er will – doch er muss heute mit deutlich mehr Gegenwind rechnen als früher. Das ist durchaus gerechtfertigt, macht die Sache für ihn aber trotz eindeutiger „Verkehrsschilder“ etwas komplizierter.
Abschied vom Entertainment am Samstagabend
Kurz vor seinem 75. Geburtstag hat Gottschalk nun noch einen Schlussstrich gezogen. In der RTL-Show „Denn sie wissen nicht, was passiert“ hat er vergangene Woche seinen TV-Abschied offiziell gemacht. „Es gibt immer einen Moment, in dem man sagen kann: Das war’s für mich am Samstagabend“, begann der Moderator und fügte dann hinzu: „Und dieser Moment ist heute für mich gekommen.“
Er werde kommende Woche 75 Jahre alt, so Gottschalk, „und das ist für einen Moderator der Punkt, an dem man sagen sollte: Man nimmt sich selber raus.“ In Anspielung auf den neuen Pontifex Leo XIV., der 69 Jahre alt ist, erklärte die TV-Legende weiter: Er habe immer gesagt, „wenn der Papst jünger ist als ich, dann ist für mich die Sache gelaufen. Der Papst ist jetzt jünger als ich, insofern verabschiede ich mich vom Samstagabend im Entertainment“. Er habe „35 Jahre lang den Samstagabend betreut und im Griff gehabt“, beendete er seine Ansprache unter dem Applaus des Publikums. Ganz ist er aber noch nicht verschwunden von den Bildschirmen: Anfang Dezember soll Thomas Gottschalk noch in einer Abschiedsshow auftreten.