Proteste in Los Angeles: Angst vor Chaos

  • Juni 11, 2025

Trumps rigoroses Vorgehen gegen die Proteste in LA schürt Angst. Angst davor, dass die Lage noch weiter eskalieren könnte. Doch das könnte dem Präsidenten gut in den Kram passen.

Die Atmosphäre ist nach den Demonstrationen und den Ausschreitungen in Los Angeles aufgeheizt, als kurz vor Mittag die Nationalgarde am Bundesgefängnis im Stadtzentrum aufmarschiert. In Tarnmontur, mit Schlagstöcken und Schilden beziehen die Soldaten Stellung – geschickt von US-Präsident Donald Trump, um die Einwanderungsbehörde ICE zu schützen, die seine beispiellosen Massenabschiebungen durchführen soll. Ein Hupen unterbricht die Szene: „Scheiß auf ICE, scheiß auf die Bullen“, schreit ein Mann aus einem Auto. 

Seit Freitag protestieren Menschen in der US-Westküstenmetropole, in der fast eine Million Menschen ohne gültige Papiere leben, gegen die einschüchternden Razzien der Behörden. Meistens friedlich – doch wenige Ausnahmen sorgen international für Aufsehen: Es gibt sie auch – die brennenden Autos, Steinwürfe auf Polizeiwagen, die Besetzung eines Highways. Viele sehen in den von Trump geschickten Soldaten eine Provokation. Die Angst davor, dass die Situation weiter eskaliert, liegt in der Luft. 

Trump in Turbulenzen

Eine weitere Zuspitzung könnte Trump nach turbulenten Tagen jedoch politisch gelegen kommen. Noch während der Republikaner mit Bundeskanzler Friedrich Merz im Weißen Haus in der vergangenen Woche Steak aß, implodierte seine Männerfreundschaft mit Multimilliardär Elon Musk vor den Augen des Landes. Der Schlagabtausch mündete darin, dass Musk dem Präsidenten (ohne Belege) in die Nähe des Missbrauchs Minderjähriger rückte.

Ungewöhnlicherweise verzichtete Trump auf einen vernichtenden Gegenschlag: Eine anhaltende, offene Feindschaft mit dem wohl reichsten Mann der Welt könnte den Schwung aus Trumps radikalem Umbau der US-Gesellschaft nehmen. Und ein Präsident, der seine eigene Koalition nicht zusammenhalten kann, wirkt schwach. In LA kann Trump nun Stärke zeigen. Und das tut er. 

Eine Million ohne Aufenthaltsgenehmigung

Trump hat die größten Massenabschiebungen der US-Geschichte versprochen. Millionen Menschen, meist aus Lateinamerika, leben seit Jahrzehnten geduldet, aber ohne Aufenthaltserlaubnis im Land. Alleine in Los Angeles – das die hispanische Identität auch im Namen trägt – sollen es knapp eine Million sein.

Trump schürte im Wahlkampf Angst vor ihnen und ihrer angeblichen kriminellen Energie. Er bekommt viel Zustimmung für seine harte Linie, auch wenn Studien seine Behauptung widerlegen, Migranten würden die Zahl der Straftaten hochtreiben. Doch das Narrativ hält sich – und komplettes Chaos in LA würde Trump scheinbar nur bestätigen.

Viele der „Illegalen“, wie die Regierung sie nennt, fürchten die Staatsmacht, die Trump entfesselt hat: Vermummte ICE-Leute tauchen da in unauffälligen Wagen auf Baustellen in Florida und New Orleans oder vor Baumärkten in New York und Los Angeles auf und nehmen Menschen ohne Papiere fest. Es droht die Abschiebung. Doch mit der Angst wächst auch die Wut über unmenschliche Behandlung.

Alltag nur an der Oberfläche – Los Angeles im Ausnahmezustand

Seit Tagen versammeln sich – manchmal Tausende – vor dem Bundesgefängnis, wo sie festgenommene Migranten vermuten. Hier und an anderen Orten kam es zu vereinzelten Zusammenstößen. Unter den Protestierenden: viele mit lateinamerikanischen Wurzeln, liberale Trump-Gegner – und nach Einbruch der Dunkelheit zunehmend Randalierer, die offenbar die Lust an der Gewalt treibt.

Auch wenn das Leben in der Mitte der Metropole auch am Dienstag größtenteils normal scheint, deuten nicht nur die zahlreichen Schmähungen gegen Trump und ICE an den Wänden im Stadtzentrum auf den Ausnahmezustand hin. Autobahnabfahrten in das Viertel rund um das Gefängnis sind gesperrt, Hubschrauber fliegen über den angrenzenden Straßen, Hotels verteilen Sicherheitspläne an ihre Gäste. Die Stadt wappnet sich für eine weitere ungewisse Nacht.

Trump mobilisierte Tausende Soldaten der Nationalgarde und Hunderte Marineinfanteristen gegen den Willen des demokratischen Gouverneurs Gavin Newsom. Die große Sorge ist, dass die Truppen schließlich genau zu dem Chaos führen könnten, das Trump zuvor beschworen hatte. Die Situation wird auch als Machtprobe gesehen: Wie weit kann Trump seine Autorität im liberalen Kalifornien ausdehnen? Newsom, dem Präsidentschaftsambitionen nachgesagt werden, wirft dem Präsidenten vor, einen „Bürgerkrieg auf den Straßen Amerikas“ zu provozieren.

„Die Regierung spielt verrückt. Und unser Gouverneur spielt mit“

Viele Menschen in Los Angeles dagegen wiegeln bei solchen Worten ab. Sie kenne das schon, erzählt eine Frau, die im Stadtzentrum bei einer Autovermietung arbeitet: „Jedes Mal, wenn es einen Protest gibt, wird es richtig hässlich.“ Sonst sei die Nationalgarde aber auch nicht mobilisiert worden. Trumps Maßnahme sei unverhältnismäßig: „Die Regierung spielt verrückt. Und unser Gouverneur spielt mit, und das macht alles nur noch schlimmer.“

Währenddessen heizen einige amerikanische Medien die Situation an: Die propagandafreundliche rechtskonservative Moderatorin Laura Ingraham lässt auf Trumps Haus-und-Hof-Sender Fox News in ihrer abendlichen Show die krassesten Szenen der letzten Tage aus Los Angeles in schneller Folge aneinander schneiden. Das erzeugt den Eindruck, dass in der US-Showmetropole etwas völlig aus dem Ruder läuft.

Trump wittert einen Sieg

Am anderen Ende des Landes schaut die New Yorkerin Susan die Show von Ingraham in einer Bar im Flughafen JFK. „Diese verdammten Idioten brennen die ganze Stadt nieder!“, empört sie sich. Wenn man sie fragt, räumt sie ein, dass sie auch nicht wisse, ob Trumps Soldaten nun das richtige Mittel seien. Aber Autos anzünden, Steine auf Polizisten schmeißen? Das müsse bestraft werden.

Es sind genau solche Szenen, die Trump, der sich seit jeher als Vorkämpfer für Recht und Ordnung geriert, und seiner Bewegung neue Kraft verleihen. Der Präsident wittert einen politischen Sieg und neue Energie im amerikanischen Kulturkampf. Einen Erfolg hat er schon errungen: Von Elon Musk redet erst mal niemand mehr. Wie hoch der Preis dafür ist, wird sich noch zeigen.

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